B. Marani-Moravová: Peter von Zittau

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Title
Peter von Zittau. Abt, Diplomat und Chronist der Luxemburger


Author(s)
Marani-Moravová, Běla
Series
Vorträge und Forschungen. Sonderbände 60
Published
Ostfildern 2019: Jan Thorbecke Verlag
Extent
629 S.
Price
€ 79,00
by
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Die stattliche Studie, die auf eine Berner Dissertation aus dem Jahr 2015 zurückgeht, bietet einerseits einen Überblick über mehrere Jahrzehnte böhmischer Geschichte, andererseits vermittelt sie vertiefte Einsichten über die Art und Weise, wie diese Geschichte chronikalisch festgehalten wurde. Bei dem im Zentrum des Interesses stehenden Geschichtswerk handelt es sich um die sogenannte Königsaaler Chronik, in der die Zeit zwischen 1253 und 1338 in insgesamt drei Büchern behandelt wird. In Böhmen waren diese Jahrzehnte aussergewöhnlich bewegt – nicht zuletzt, weil ein dynastischer Übergang in sie fiel, von den einheimischen Přemysliden zur fremden Dynastie der Luxemburger. Dieser Übergang ging nicht nahtlos vonstatten: Mit der Ermordung des jungen Königs Wenzels III. im August 1306 starben die Přemysliden im Mannesstamme aus. Die böhmischen Stände kürten daraufhin Herzog Heinrich von Kärnten zum König, der vor seiner Wahl Anna, Tochter Wenzels II. und Schwester Wenzels III., geheiratet hatte. Heinrichs Königtum wurde vom römischen König Albrecht von Habsburg hintertrieben, der Böhmen als heimgefallenes Lehen für sein Geschlecht zu sichern versuchte. Auf Albrechts Druck wählte der böhmische Adel schliesslich Albrechts Sohn Rudolf III. zum König. Allerdings starb Rudolf, der Elisabeth, die Witwe Wenzels II., geheiratet hatte, bereits im Juli 1307, worauf sich der böhmische Adel erneut für Heinrich von Kärnten entschied. Heinrichs Königtum währte indes wieder nicht lang: «Die Unzufriedenheit mit [dessen] Herrschaft und der Machtanspruch des böhmischen Adels hatten [...] die Entmachtung Heinrichs von Kärnten zur Folge» (S. 34), dies, nachdem böhmische Gesandtschaften, in denen nebst dem Adel auch die Zisterzienser und die Bürger von Prag und Kuttenberg vertreten waren, zwischen 1309 und 1310 in Verhandlungen mit dem römischen König Heinrich VII. vom Luxemburg getreten waren. Auch Heinrich betrachtete Böhmen als heimgefallenes Lehen, das er Ende August 1310 seinem vierzehnjährigen Sohn Johann übertrug. Dieser wurde mit Elisabeth vermählt, einer Schwester Annas und ebenfalls Tochter Wenzels II. Johann zog nach Böhmen, um seine Ansprüche auf den Thron durchzusetzen, was ihm nach seinem Einzug in Prag, wo er am 7. Februar 1311 gekrönt wurde, schliesslich auch gelang.
Wir geben hier nur ein reduziertes Gerüst der böhmischen Geschichte wieder, die in Tat und Wahrheit ungleich komplexer ist. Wir verzichten auch auf die Schilderung des von zunehmenden Spannungen geprägten Ehelebens des Königspaars Johann und Elisabeth, von dem auch die Jugend des gemeinsamen Sohnes Wenzels geprägt war, der 1316 geboren wurde und unter seinem Firmnamen Karl als böhmischer König und römischer Kaiser Karl IV. in die mitteleuropäische Geschichte eingehen sollte. Die böhmische Geschichte jener Zeit, nicht zuletzt die spannungsvolle Geschichte der Herrschaft König Johanns, stehen im Zentrum der Königsaaler Chronik. Benannt ist Letztere nach dem Zisterzienserkloster Königsaal bei Prag, im dem sie zeitnah verfasst wurde. Ursprünglich war sie dazu ausersehen, die Memoria des Stifters zu bewahren, nämlich König Wenzels II., der das Kloster 1292 gegründet hatte.
Die Gründungsgeschichte wird von Otto von Thüringen beschrieben, dem ersten Königsaaler Historiographen, der von 1312 bis zu seinem Tod zwei Jahre später der zweite Abt der königlichen Gründung war. Prägender für die böhmische Geschichtsschreibung ist der Fortsetzer Ottos, nämlich Peter von Zittau, der dem Kloster ebenfalls als Abt vorstand, nämlich von 1316 bis 1339, seinem Todesjahr. Auf Peter von Zittau konzentriert sich denn auch die vorliegende Studie. Ihr erster Teil hat einen einführenden Charakter und bietet u. a. einen Überblick über den Forschungsstand sowie über die böhmische Geschichte, soweit diese in der Chronik dargestellt wird. In Teil zwei wird Königsaal als königsnahe Institution vorgestellt, bevor in den Teilen drei und vier Peter von Zittau ins Schweinwerferlicht der Verfasserin tritt: Teil drei ist Peters Leben zugedacht, Teil vier seinem Werk.
Peter betrachtete sich als Bohemus, d. h. als Böhme deutscher Sprache, für den «auswärtige» Deutsche Fremde waren. Er war ein Parteigänger der Přemysliden und daraufhin der Luxemburger. Sein Hintergrund und seine Ausbildung sind unbekannt und müssen erschlossen werden. In der Chronik verzeichnete er selbst seine Teilnahme an bestimmten Ereignissen, so an der Reise nach Heilbronn zu König Heinrich VII. im August 1309, bei der es um die Neubesetzung des böhmischen Throns ging und die Peter als Kaplan des Königsaaler Gründungsabts Konrad unternahm. In derselben Funktion nahm Peter auch an der neuerlichen Reise teil, die Vertreter des Adels und der Städte Prag und Kuttenberg sowie die böhmischen Zisterzienseräbte 1310 an den Hof Heinrich VII. führte. Im Gefolgte Elisabeths von Böhmen gelangte Peter nach Speyer, wo er der Hochzeit Elisabeths mit Johann von Luxemburg als Zaungast beiwohnte. Dieselbe Rolle hatte er bei der Krönung Johanns und Elisabeths im Februar 1311 in Prag. Auch in der Folge erlebte Peter die Reichspolitik aus der Nähe mit, zunächst als Begleiter seines Abts Konrad, der eine dichte diplomatische Agenda hatte (so gehörte er zum Gefolge Königin Elisabeths und diente deren Gemahl König Johann als Gesandter); daraufhin, nach seiner Wahl zum Abt 1316, führte Peter selbst Aufträge Elisabeths und Johanns aus. Daneben weilte er wiederholt am Generalkapitel des Zisterzienserordens in Cîteaux.
Peter war also ein weitgereister Mann, zunächst in begleitender Funktion, später in leitender, der vieles aus eigener Anschauung berichten konnte. Seine eigenen Beobachtungen ergänzte er (wie auch schon sein Vorgänger) durch ältere Geschichtswerke, die er aber – als zeitgeschichtlicher Autor – nur spärlich nutzte. Wichtiger war eine grosse Anzahl (insgesamt einundvierzig) von Briefen und Urkunden, die er in seinen Text inserierte. Diese Quellen hatte er auf seinen Reisen selbst kopiert oder von Gewährsleuten zugeschickt erhalten. Letztere bildeten ein Netz, wobei Peter bei der Rekrutierung sicherlich seine Stellung als Abt und seine Königsnähe zugutekamen. Zu diesen Gewährsleuten gehörten – wenig überraschend – primär Geistliche, darunter Zisterzienser, ferner Mitglieder der königlichen Familie und einflussreiche Prager Bürger sowie – die dritte Gruppe – Leute aus dem Gefolge des Königs und der Königin. Die aus den genannten Quellen erhaltenen Informationen, die dem Chronisten in schriftlicher oder mündlicher Form zugetragen wurden, bündelte dieser in seinem Werk. Dabei erwies sich der «Mönch, Kaplan, Abt, Diplomat und Chronist [als ein] aufmerksamer und unermüdlicher Beobachter seiner Zeit» (S. 164). Das Ergebnis dieser Beobachtungen wird in den Teilen fünf bis acht der vorliegenden Studie behandelt. Die Verfasserin geht dabei systematisch vor: Sie analysiert Peters Darstellung der böhmischen bzw. römischen Könige (und Kaiser) und vergisst dabei auch die Königinnen nicht (Teil fünf), des böhmischen Adels (Teil sechs) und des städtischen Bürgertums (Teil sieben). In Teil acht steht die Kirche im Blickpunkt, d. h. Peters Behandlung von Päpsten, Erzbischöfen und Bischöfen.
Es versteht sich von selbst, dass an dieser Stelle nur ein paar Stichworte angebracht werden können. Bei der Darstellung der böhmischen Könige richtet sich Peter nach konventionellen Typisierungen. Sehr positiv wird erwartungsgemäss Wenzel II. charakterisiert, der den Zisterziensern nahestehende Stifter von Königsaal notabene, der von Otto und Peter für seine Sittsamkeit und Frömmigkeit gelobt wird. Ebenfalls – konventionell – positiv zeichnet Peter den ephemeren Rudolf von Habsburg, dessen Bemühungen um die Tilgung königlicher Schulden unterstrichen werden. Keine Gnade findet hingegen in Peters Augen Heinrich von Kärnten, dessen Absetzung die böhmischen Zisterzienser aktiv (mit-)betrieben hatten. Seine «negative Darstellung» bildet in der Chronik «einen Gegenpol zum idealisierten Bild Wenzels II.» (S. 228). Bezeichnenderweise wird Heinrich von Peter nicht als König angesprochen, sondern als Herzog von Kärnten, wobei dessen legitime Königswahl verschleiert wird.
Was König Johann betrifft, so wird Peters Bild nach anfänglicher Begeisterung zwiespältig: «Oft schwankte der Chronist zwischen Bewunderung und Ablehnung» (S. 258–259). In die Herrschaft des Luxemburgers fallen, soweit in der Chronik berichtet, der Konflikt mit dem böhmischen Adel, die Entzweiung des Königspaars sowie Johanns militärische Initiativen im Ausland, die lange Abwesenheiten und finanzielle Forderungen seitens des Königs bedingen. Peters Kritik zielt denn auch auf «die unbefriedigende Herrschaftsausübung des Luxemburgers, die sich in Stellvertreterregierungen, ausserordentlicher Besteuerung von Ordensinstitutionen und der Beschlagnahmung von Gütern äusserte. Besonders die zunehmende Zerrüttung der Ehe mit Elisabeth, die gemäss Peter die wahre Erbin Böhmens war, zeigt Johanns Wandel von dem Bild eines idealen zu dem eines verantwortungslosen Herrschers» (S. 261). Angesichts der Verwerfungen, die sich während Johanns Herrschaft in Böhmen öffnen, legt der Chronist besonders Gewicht auf die Rückkehr von Johanns Sohn und Erben Karl, der auf Anordnung seines Vaters 1323 zur Ausbildung an den französischen Hof geschickt worden war. Von ihm versprach sich Peter «ein Wiederanknüpfen an das přemyslidische Erbe» (S. 237), mit dem Karl über seine Mutter verbunden war.
Wir übergehen hier Peters Charakterisierungen der römischen Könige und Kaiser – bis auf eine Ausnahme: Ludwig dem Bayern gegenüber war der Chronist wohlgesinnt, wenigstens bis zu Ludwigs Kaiserkrönung in Rom im Jahr 1328, die gegen den erklärten Willen Papst Johannes’ XXII. stattfand, und zu der von Ludwig initiierten Einsetzung eines Gegenpapsts. Der Chronist vollzieht einen Bruch mit Ludwig, der in der folge nur noch als Ludowicus Bawarus angesprochen wird. Mit dieser Wortwahl schwenkt er auf die Linie der Ludwigkritischen Historiographen ein.
In seiner Behandlung des böhmischen Adels und der an politischem Gewicht gewinnenden Bürgerschaften in Prag und Kuttenberg taucht Peter tief ein in die böhmische Landesgeschichte an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Im Rahmen dieser Rezension beenden wir hier jedoch das Referat seiner Aussagen und schreiten zu einem kurzen Fazit: In ihrer kenntnis und materialreichen Studie demonstriert die Verfasserin, wie wichtig es bei der Bewertung eines Chronisten ist, die Hinter-gründe des Erzählten zu kennen. Landes-, Reichs- und Historiographiegeschichte bedingen einander: Es braucht die allgemeine Geschichte, um das historiographische Zeugnis einzubetten, andererseits ist Letzteres bisweilen die einzige Guckröhre zur allgemeinen Geschichte. Ja, manchmal (sofern keine nicht-historiographischen Quellen vorliegen) konstituiert der Bericht des Historiographen die Geschichte. Deshalb gilt es, die Standpunkte und Meinungen des Chronisten sorgfältig «herauszupräparieren» und vor dem Hintergrund des Zeitgeschehens einzuordnen. Běla Marani-Moravová stellt sich dieser Aufgabe auf engagierte Art und Weise und in beeindruckender Breite. Der einzige Vorbehalt ist sprachlicher Natur: Es kommt vor, dass die Stimme des Chronisten mit der autoritativen Stimme der Verfasserin verschwimmt. Ein vermehrter Einsatz der indirekten Rede, um die Worte des Chronisten kenntlich zu machen, hätte da wohl noch grössere Klarheit geschaffen. – Der Band wird durch ein Personen- und ein Ortregister erschlossen.

Zitierweise:
Modestin, Georg: Rezension zu: Marani-Moravová, Běla: Peter von Zittau. Abt, Diplomat und Chronist der Luxemburger, Ostfildern 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 427-430. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127.

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